Film- und Videoperformance / 20 min.

Konzept und Realisation: 2006/07

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Den Anfang unserer gemeinsamen Arbeit an der Videoperformance DASEIN machte die Einladung einer befreundeten Künstlerin. Maria Meusburger-Schäfer trat, nachdem sie ihre Arbeit am Stoffobjekt „Dasein“ beendet hatte, an die freundinnen der kunst mit der Bitte heran, eine eigenständige Auseinandersetzung mit diesem Objekt zu suchen. Die Fragestellung lautete: Was passiert, wenn Objekt und Begriff aus Sicht des Künstlerinnenkollektivs freundinnen der kunst  eine weitere Entwicklung erfährt? Die Intention war, andere Sichtweisen auf ein Thema zu werfen, das eine große Vielfalt an Anknüpfungspunkten hatte und somit auch reichlich Diskussionsstoff barg.

Ein Jahr lang haben wir uns mit dem Begriff DASEIN beschäftigt und immer wieder neue Facetten dazu entdeckt. Entstanden ist eine Video-Performance in der unterschiedliche Genres zur Anwendung kamen. Verwendet wurden verschiedene Aufnahme- und Montagetechniken.Das Thema der Geburt aufgreifend, drehten wir die Rahmenhandlung in der leerstehenden, abbruchbereiten Landesfrauenklinik in Linz. Das Arbeiten am eigenen Dasein wurde versinnbildlicht durch handwerkliche Tätigkeiten, dargestellt in unterschiedlichen Arbeitsprozessen.

Die vier Episoden, die die Rahmenhandlung unterbrechen, thematisieren auf sehr persönliche Weise den Zugang der freundinnen der kunst zum Begriff DASEIN: „Laurentia, liebe Laurentia mein”, „Sonntags auf dem Acker“, „Eintag topfte die Welt oder Quillmädchen“, „Wenn wir erklimmen…“

Konzept/Regie/Schnitt > freundinnen der kunst – Claudia Dworschak, Martina Kornfehl, Helga Lohninger, Viktoria Schlögl

Darstellerinnen > freundinnen der kunst

Kamera > Marion Geyer-Grois, Claudia Dworschak

Musik > Verena Brückner, Lorenz Felhofer, Haarmann

Text > Sybille Küblböck

Sprecher  > Stanislaus Stieber

Erstaufführung > 17.10.07 Kunstraum Goethestraße/Linz

        Oktober 2008 – „best off 08“ Kunstuniversität Linz

Gefördert von Land OÖ. und Stadt Linz

Dank an die Kunstuniversität Linz


Das Da-Sein und das Performative

Bemerkungen zum Videofilm DASEIN von den freundinnen der kunst (A 2007)

Am Anfang steht der Akt des Produzierens, die „Geburt“ eines Kunstwerks aus dem Nichts, so wenigstens lautet der Mythos künstlerischen Arbeitens allenthalben. Es ist daher passend, dass DASEIN, dieses Stereotyp aufgreifend, eine (ehemalige) Frauenklinik und den Topos der Geburt als Location wählt und zum Ausgangspunkt filmischer Reflexionen über die Existenz macht. In den Räumen dieser Klinik, die im Frühsommer 2007 abgerissen wurde, erscheinen und verschwinden die Künstlerinnen in blutroten Overalls, um blutrote Buchstaben zu pinseln, zu tragen, aufzulegen, zu fertigen. Die Montage, das Fabrizieren und das Material am (vormaligen) Ort leiblicher Produktion. Schon „Schöpfung“ oder erst der Anfang davon?

Am Anfang steht das Kindsein. Mit der Kindheit verbinden sich so genannte Kindheitsmuster, Muster des Einschreibens und Ausprägens, vermittelt über Kinderlinder, Reime, Spielzeug, Schulbücher (die Mutti mit der Schürze, der Vati fährt zur Arbeit) … „Laurentia, liebe Laurentia mein, wann werden wir wieder zusammen sein?“. In diesem ersten ‚Akt’ von DASEIN umkreist die Super-8-Kamera zunehmend schneller den Ringelreigen der Frauen/Mädchen oder genauer gesagt: sie lässt sich von ihnen umringen und dreht sich mit ihnen im Kreis wie auch im Kreislauf der Wochentage. „Montag…Dienstag… endlich Freitag wär“. Mit der schneller werdenden Rotation ergreift uns beim Zusehen Schwindel. Die biedere Siedlung, die die Hintergrundkulisse gebildet hatte, und die Choreographie des Reigens und Knicksens lösen sich buchstäblich auf. Kindheit, das ist daran zu spüren, ist auch Ort und Zeitraum geschlechtsdifferenter Zugriffe, Einflussnahmen und Ausprägungen, die der Film hier in den Blick nimmt. Das Da-Sein modelliert uns zu Mädchen und Jungen, Frauen und Männern, Künstlerinnen und Künstlern. Dass Existenz dabei stets mit elementaren und banalen Dingen zu tun hat, zeigt uns anschließend Episode 2, „Sonntags auf dem Acker“ mit einer Szene, in der ein Frauenkörper zu sehen ist, der auf der Erde liegt und atmet. Und auch hier ist die Farbe Rot wieder präsent.

Am Anfang steht das Heim, „Home is where the heart is“, wie Lene Lovich in den 1980er Jahren ironisch sang. In DASEIN ist dies nach Siedlung und Erdboden das Puppenhaus, das wie keine andere Miniatur für Kindheit und Weiblichkeit zugleich steht. Henrik Ibsens Theaterstück „Nora oder ein Puppenheim“ machte im 19. Jahrhundert die Puppenstubenmetapher zum Signum für die Domestizierung der Frau. DASEIN verrätselt dieses scheinbar eindeutige Bild durch die Tonunterlegung. Erzählt wird eine Variation des Märchens vom süßen Brei bzw. vom „Quillmädchen“ [1], die uns von einer Kinderstimme lakonisch vorgelesen wird. Auch auf der Ebene des Visuellen wird der Zusammenstoß von Gegensätzlichem oder zumindest Unterschiedlichem betrieben. Materialien und Verfahren wie 2-D/3-D, Handpuppentechnik und flächigen Elementen, Pappe/Papier, Brei, Fotografie, Textsegmente, Knöpfe, Stoffe usw. finden sich zu einer auf den ersten Blick altmodisch erscheinenden Puppenbühne angeordnet, einem Szenario und Bühnenraum, in dem an Stöcken geführte Figurinen agieren. Ein Textband wird durch das Bild gezogen, das den chiffrierten Text vom „Leermagen“ des Mädchens und der Mutter oder vom Mädchen, das sich zur Alten „waldet“, uns noch einmal im Medium der Schrift vor Augen führt. Zur lakonischen Kinderstimme gesellen sich quasi-realistische Geräusche vom Handy, z.B. ein Vogelgezwitscher. Und auch diese Episode vom Mädchen-Sein und vom unheimlichen (Heran-)Wachsen und Überquillen – „und immerdar der Brei“ – findet ein vorübergehendes Happy End: „Der Abend ist die gute Welt“.

Am Anfang steht der Text. Auch auf der zweiten Erzählebene des Films, der Thematisierung künstlerischer Produktion und ihrer Performance, schreitet die Geschichte fort: die Elemente, die ein Ganzes ergeben sollen so wie einzelne Bausteine und Eigenschaften schließlich eine Persönlichkeit ausmachen, werden transportiert, in Bewegung versetzt. So werden sich letztendlich Buchstaben zu einem Text fügen, der Sinneffekte hervorbringt. D.A.S.E.I.N. Das Alphabet und die Ordnung von Schrift und Text bestimmen unsere Existenz. Die Film- und Kunstgeschichte ist voll von Spielen mit Akronymen und Anagrammen, von Text-Bild-Rätseln und -Übergängen. Einzelne Worte oder die Kombinatorik von Buchstaben, die man separat oder in verschiedenen Konstellationen lesen und dechiffrieren kann, geben uns im erzählenden Film oft Aufschluss über Lesart und Anspielungshorizont des Films. In Kriminalfilm oder Psychothriller verweisen sie oft sogar auf Täter und Tatmotiv. Experimentalfilme wie Mathias Müllers Nebel übertragen Poesie, in diesem Fall ein Gedicht von ernst jandl, in das Medium Film. Text-Bild-Kunst, etwa das Kaligramm, lässt uns Buchstaben als Bilder lesen und umgekehrt. Der Film DASEIN tut all dieses nicht. Er führt in der Medienverbindung von Film/Video und Performance vielmehr Buchstabe für Buchstabe vor, dass Da-Sein zwar immer gegeben ist, aber zugleich ein ständiger Produktions- und Realisierungsprozess ist – Performanz. „Die(se) im allgemeinen konstruierten Akte, Gesten und Inszenierungen erweisen sich“, so hatte Judith Butler 1990 mit Blick auf das Herstellen von Geschlecht (Gender) formuliert, „insofern als performativ, als das Wesen oder die Identität, die sie angeblich zum Ausdruck bringen, vielmehr durch leibliche Zeichen und andere diskursive Mittel hergestellte und aufrechterhaltene Fabrikationen/Erfindungen sind“.[2] Butler lesend würde man also vor allem betonen, dass die Wiederholung, das Serielle („Laurentia, liebe Laurentia mein…“), das Da-Sein, Leben, Existenz, Identität, erschafft.

In diesem Sinne zeigt, so könnte man sagen, DASEIN das Da-Sein als Werden, als ständigen Produktions- und Fabrikationsprozess. Vorgänge und Akte, die wir gewöhnlich mit unterschiedlichen Bedeutungen belegen, nehmen dabei denselben Rang ein: Atmen, Handwerken, Malen, Gebähren, Filmen, Schreiben, Gehen, Sich Drehen. Ray Bradbury, Vielschreiber und Verfasser unzähliger Kurzgeschichten, Drehbücher und Romane (Fahrenheit 451, verfilmt von François Truffaut, davon nur der bekannteste), verknüpft daher zu Recht das künstlerisch-kreative Arbeiten direkt mit elementarsten Aspekten der Existenz und d.h. mit dem Überleben: „Zu allererst und hauptsächlich“, so schreibt er über den künstlerischen Produktionsprozess, „erinnert es uns daran, dass wir am Leben sind und dass Leben eine Gabe und ein Privileg ist – kein Recht. Wir müssen das Leben verdienen, sobald es uns geschenkt worden ist. Das Leben will belohnt werden, weil es gerade uns ausgesucht hat“.[3] Dieser Analogiekette von Erzeugen/Arbeiten/Schaffen/Schöpfung folgend endet DASEIN mit einem performativen Akt, einem Tableau Vivant mit Künstlerinnen und Buchstaben (sprich: überlebensgroßen Objekten). Aus den einzelnen Text-, Bildelementen und Objekten, wird Text. Und auch hier wird das Motto der abschließenden Episode, „Wenn wir erklimmen.“, wörtlich genommen. Die Künstlerinnen, optisch geschrumpft zu Figurinen, erklettern die monumentalen Buchstaben, das Dasein.

Am Ende steht natürlich das Happy End.
Die Diversität der vielen Aspekte, Erzählstränge, Techniken und Visualisierungsverfahren wird nicht nur durch eine formale Schließung, der Produktionsprozess, den wir zu Anfang sahen, kommt zum Abschluss in der Aufführung, visuell und narrativ aufgefangen, sondern auch durch Übergangspassagen, in denen die realfotografische Optik in schwarz-weiße Strichzeichnung rücküberführt wird, so als würden wir Distanz nehmend von all den ‚schweren’ und ‚tiefen’ philosophischen Überlegungen zu Dasein und Existenz, zum eigenen Dasein und zur eigenen Existenz, zu Identität, Leben und Überleben, zurücktreten, um einfach einmal tief durchzuatmen wie die Frauenfigur in der Episode „Sonntags auf dem Acker“. Einen sprichwörtlich langen Atem benötigen wir im alltäglichen Dasein wie auch in der künstlerischen Produktion. „Life“, so hat ein anderer Popsong der 70er Jahre das Dasein einmal verbildlicht, „is just a slow train crawling up a hill“.

Karin Bruns
Kunstuniversität Linz, Institut für Medien
September 2007


[1]   Sibylle Küblböck, Linz 2007, nach Gebrüdern Grimm „Der süsse Brei“, erstellt für die „freundinnen der kunst“, unveröffentlicht

[2] Vgl. zum Begriff der Performanz: Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a.M. 1990, S. 200.

[3] Ray Bradbury: Zen in der Kunst des Schreibens. Aus dem Amerikanischen von Kerstin Winter. Berlin 2003, S. 10 (im Original: Zen in the Art of Writing, Capra Press, 1990).